"Venus Boyz"
Gespräch mit Gabriel Baur
(ungekürzte Fassung)

"Je suis l'autre."
Gérard de Nerval
Gabriel Baur, wie kamen Sie dazu, einen Film über Drag Kings zu drehen?
G.B.: Gabriel Baur: Wer träumt nicht davon, einmal in die Haut des anderen Geschlechts zu schlüpfen? Als Frau das sogenannte Mannsein zu erleben? 1996 hörte ich von Frauen, die auf der Bühne als Männer auftreten und dies, wie man mir erzählte, mit viel schwarzem Humor. Am folgenden Morgen bin ich aufgewacht und habe ein Ticket nach New York gebucht...Von klein auf hat mich die Frage beschäftigt, was wäre, wenn alle grüne Brillen tragen würden und es niemand bemerkte ? Die Frage nach gesellschaftlichen Normen und ihren Überschreitungen, nach Identität und Geschlecht sind ein zentraler Aspekt meines Filmschaffens. Mit der Frage, wie die Gesellschaft die Begriffe "weiblich/männlich" definiert , bzw. was sie der Frau, was dem Mann zuschreibt, habe ich mich bereits in früheren Projekten und Filmen - "Die Bettkönigin", "Lulutopia" oder "Cada Dia Historia" - auseinandergesetzt. "Venus Boyz" war die logische Fortsetzung.
Wie verlief die Recherche konkret?
G. B.: Ich begann in New York zu recherchieren und merkte schon bald, dass die Drag King-Shows mehr als bloss Unterhaltung sind. Ich lernte Drag Kings kennen. Es waren Frauen mit grosser Persönlichkeit wie die Drag King-Pionierin Diane Torr, die sich in Kursen und Gesprächen auch sehr reflektiert mit gesellschaftlichen Machtstrukturen auseinandersetzt. Oder Dréd Gerestant, die als Vertreterin der jungen Generation ihr Leben von Grund auf ganz anders zu gestalten versucht.
Sie haben aber nicht nur in New York gefilmt.
G.B.: Nein. Im Laufe meiner Recherchen kam ich nach London und traf Frauen, die gerade begonnen hatten, Testosteron zu nehmen. Das gibt dem Thema eine neue Dimension: In dem Moment, in dem sich die äusserliche Veränderung schmerzhaft in den Körper einschreibt, wird sie grundlegender, existenzieller. Die Begegnung mit den transgendered neuenMännern in London hat meine Wahrnehmung des menschlichen Körpers sowie das Verständnis von der Zweiteilung Mann/Frau stark erschüttert und mir gezeigt, dass ich diesen Film unbedingt machen musste. Und zwar als langen Kinofilm. Als eine Reise, die uns von Vertrautem, von der Performance Artistin Bridge bis zum Unvertrauten, zu Del, der Testosteron nimmt, führt. Ich brauchte die Länge der Zeit und den Raum der Kinoleinwand, um den komplexen Emotionen der ProtagonistInnen und den vielfältigen Perspektiven des Themas gerecht werden zu können. Kommt dazu, dass "Venus Boyz" ein Tabu-Thema berührt. Das löst Zurückhaltung und Skepsis aus, und verlangt in der Behandlung dementsprechend nach Sorgfalt und Raum.
Die Reise im Film widerspiegelt fiktional meine eigene Reise - ich habe bei der Realisation von "Venus Boyz" sehr viel Neues erfahren, habe gelacht, wurde berührt, war verwirrt - und ich wollte diese Entdeckungsreise den Zuschauerinnen und Zuschauer nahe bringen.
Sie beschränken sich in "Venus Boyz" auf die aktuelle Situation und streifen die historische Dimension nur am Rande. Wieso?
G.B.: Mir ist die Konzentration auf heute wichtig. Die aktuelle Drag King Bewegung führt weit über das bisher Bekannte hinaus. Drag Kings ziehen nicht allein Männerkleider an, um auf der Bühne in eine Männerrolle zu schlüpfen, wie das Marlene Dietrich tat. Sie tun es ebenfalls nicht, um das Weibliche erotischer zu machen. Sie reflektieren die Verwandlung von Frauen in Männer meist in sehr parodistischer Art, wobei es kulturelle Unterschiede gibt. Das Handeln von Drag Kings zielt neben der vitalen Verkleidungslust offensichtlich auf die Dekonstruktion und Innovation von Männlichkeit. Das zeugt von einer gewissen Distanz und gleichzeitig von einem neuen Selbst-Bewusstsein.
Von vielen Drag Kings werden doch einfach Stereotypen produziert...
G.B.: Aber diese Stereotypen werden in einem andern Kontext gezeigt, werden parodiert. Wenn man beispielsweise Machotum und Frauenverachtung zum Ziel von pointiertem Humor macht, löst man sie aus dem gewohnten Kontext. (Das wird plötzlich als etwas Absurdes wahrgenommen.
In ihren Augen steht die Erscheinung heutiger Drag Kings also im Zusammenhang mit anderen zeitbedingten, gesellschaftlichen Phänomenen?
G.B.: Sehr. Die Möglichkeit aus Rollen auszubrechen war für Frauen in westlichen Kulturen noch nie derart gross wie heute. Das Verhältnis der Geschlechter ist dabei, sich grundlegend zu verändern, wir befinden uns mitten in einem Paradigma-Wechsel. Einer der Auslöser ist die Tatsache, dass Fortpflanzung heute nicht mehr grundsätzlich an die Sexualität zwischen Mann und Frau gebunden ist. Das schafft Freiräume, erlaubt eine völlig neue Einschätzung der Rollen von Mann und Frau und der verschiedenen Formen der Sexualität. Ein weiterer Auslöser liegt in den neuen oekonomischen Möglichkeiten, die Frauen heute haben, und in ihrem durch den Feminismus veränderten Selbstverständnis....
In "Venus Boyz" fallen das ausgeprägte Selbstbewusstsein und die starke Reflektiertheit der ProtagonistInnen auf.
G.B.: Dass Drag Kings, vor allem die Wegbereiterinnen, als sehr reflektierte Persönlichkeiten erscheinen, liegt zum einen sicher daran, dass sie Frauen sind - oder waren. Frauen sind in unserer Gesellschaft generell oft gezwungen, über ihr Verhalten und Auftreten nachzudenken.Zum andern werden Frauen, sobald sie maskulin auftreten, von der Gesellschaft stark in Frage gestellt. Sich da neue Räume zu erobern, setzt ein Bewusstsein von dem voraus, was man tut.
Was bedeutet das Drag Kinging für die transgender Persönlichkeiten in London ?
G.B.: Für Del und die Londoner Gruppe stellt sich diese Problematik heute anders. Sie werden als Männer wahrgenommen. Drag Kinging hat sie in ihrem Entscheid, Testosteron zu nehmen, beeinflusst. Sie treten immer noch ab und zu als Drag Kings auf, aber es hat nicht mehr denselben Stellenwert wie zuvor.
Sie haben vorhin locker erwähnt, sie hätten in New York ein paar Drag Kings kennen gelernt. War es nicht schwierig, in diese - man muss doch annehmen eher kleine und exklusive - Szene einzudringen?
G.B.: Nicht wirklich. Aber es ist übertrieben zu behaupten, ich sei mit offenen Armen empfangen worden. Es gab gewisse Vorbehalte gegenüber Fremden, die Filme machen. Die New Yorker Szene aber ist gross und dementsprechend offen. Da ich früher jahrelang in New York lebte, fühlte ich mich zu Hause und hatte Bekannte, die mich in die Szene einführen konnten. Wichtig waren die lange Vorbereitungs- und Drehzeit: hätte ich den Film 1996 gedreht, als ich anfing zu recherchieren, wären die Intimität und das Vertrauen, die "Venus Boyz" prägen, nicht dagewesen. Die lange Zusammenarbeit liess die Beteiligten merken, dass ich sie nicht - wie sie es von Talkshows gewohnt sind - als schillernde Exotika vorführe, sondern sie in ihren Anliegen ernst nehme und die seriöse Auseinandersetzung suche. Was für die ProtagonistInnen aus London wichtiger war als für diejenigen aus New York. Die Londoner Szene ist kritischer - wird aber auch stärker angegriffen. Del zum Beispiel, ich lernte ihn noch als Della kennen, war anfänglich sehr misstrauisch. Er wollte ganz genau wissen, was ich in New York gemacht hatte. Erst als er anhand der Filmaufnahmen aus New York sah, dass ich eine bewusste Gestaltung des Bildes, eine Schönheit suchte, öffnete er sich. Er hat die Erfahrung gemacht, dass seine Welt oft marginalisiert, hässlich und undergroundig dargestellt wird- und das stört ihn.
Fast alle ProtagonistInnen, sind KünstlerInnen und auf Publikum angewiesen. Gleichzeitig bewegen sie sich am Rande der Gesellschaft, sind AussenseiterInnen. Ist das nicht ein riesiger Zwiespalt?
G.B.: Es ist kein Zufall, dass sie solche Berufe haben: Die Beschäftigung mit Bildwelten in Bezug auf den eigenen Körper und sein Erscheinungsbild ist eine Grundbedingung des Drag King-Seins und der bewusstenTransidentität. Für viele, wie etwa für Del als Fotografen, ist es existenziell, Bilder vom eigenen Körper zu machen. Zu bemerken allerdings ist, dass die meisten neben ihrem Künstler-Beruf einem Brot-Job nachgehen. Was heute aber Bedingung nicht nur des Künstlerdaseins sondern vielleicht sogar des urbanen Lebens schlechthins ist.
Wie haben Sie ihren Film finanziert?
G.B.: Die Finanzierung war schwierig. In der Schweiz sind wir, vor allem bei den grösseren Gremien, auf extreme Ablehnung und Skepsis gestossen. Ohne den engagierten ausländischen Support wäre dieser Film nie zu stande gekommen.
Wogegen richtete sich die vorhin erwähnte Skepsis?
G.B.: Wenn ich die Ablehnungsargumente hier alle aufzählen würde, wäre es für einige Schweizer-kommissionen peinlich. Sicher: das Thema war 1996/97, als ich an "Venus Boyz" zu arbeiten anfing, in der Schweiz weniger präsent als heute. Doch ich denke, dass unbewusst viele Ängste mitgespielt haben. Ich habe festgestellt, dass das Thema bei vielen Menschen tabuisiert ist.
Als Reaktion darauf wollte man mich unbedingt auf das Bekannte festlegen: die einen empfahlen mir, eine einzige Biografie von A zu B zu verfilmen, von Frau zu Mann, genau das eben, was ich mit "Venus Boyz" keinesfalls wollte. Andere gaben zu verstehen, dass ich auf gar keinen Fall Drag-King
Performerinnen, geschweige denn Performances filmen sollte. Das sei zu vordergründig attraktiv. Es war jedoch gerade die Attraktivität der Performances, die mich angesprochen hat, weil es mit den Vorurteilen und der Erwartungshaltung gegenüber der Thematik bricht, die wir im Zusammenhang mit maskulinen Frauen haben: hässlich, Mannsweib, eine Frau mit Haaren auf den Zähnen...  
Wieso wollten Sie keine Einzelbiografie verfilmen ?
G.B: Ich möchte dazu Hans Scheirl zitieren, einen der Protagonisten im Film. Er ist selbst Filmemacher und mailte mir, nachdem er den Film gesehen hat: "Mainly I realize that what happens here is that a trans-personal protagonist, or a protagonist-multiplicity is created. Every character has an effect on the perception of every other character, so I think this movie is very futuristic." Mir war zudem wichtig, die Einzelnen eingebettet in ihre Gemeinschaften zu zeigen, die teilweise ortsunabhänging vernetzt sind.
Ihre ProtagonistInnen und Protagonisten leben sehr unterschiedlich "den Mann in sich"...
G.B.:...ich finde es faszinierend zu beobachten, welche Männer entstehen, wenn Frauen ihre Alter-Egos kreieren. Im Workshop von Diane Torr, - der von vielen Frauen besucht wird die ihr Wissen auch beruflich im Büro oder privat beim Reisen anwenden wollen -, habe ich sanft auftretende Frauen gesehen, die sich plötzlich in überzeugende Machos verwandelten. Die kulturelle Prägung wirkt sich natürlich auf das Männlichkeitsbild aus: Die Protagonistin Dréd, eine farbige Amerikanerin mit haitianischen Wurzeln, hat ein anderes Verhältnis zum Mannsein als eine weisse Deutsche der Mittelschicht. Wichtiger jedoch ist mir die Tatsache, dass durch die Verwandlung und Verkleidung eine Verschiebung der Wahrnehmung entsteht. Dass in Frage gestellt wird, was maskulin und feminin, Mann und Frau ist. Dass jeder Mensch männliche und weibliche Anteile hat. Was mich interessiert ist die Frage, was Menschen aus den daraus resultierenden Möglichkeiten machen, die normalerweise nicht gelebt werden. Denn es braucht Mut, aus der Zweiteilung der Geschlechter auszubrechen..
Können Sie das konkretisieren ?
G.B.: Am klarsten wird dies am Beispiel von Del LaGrace. Von vielen wird er entweder als Mann, oder immer noch als Frau empfunden. Del LaGrace Volcano sieht sich heute weder noch. Er nimmt Testosteron, bezeichnet seine Grundeinstellung eher als männlich, doch sieht sich nicht als Mann. Er betrachtet sich nicht im klassischen Sinne als transsexuell, sondern verwendet Begriffe wie transgender oder intersexuell, oder gendervariant. Del sagt, er ist auf dem Weg zu sich selbst, kreiert dabei auch eine eigene Sprache und muss andauernd um seine Anerkennung kämpfen.
In "Venus Boyz" gibt es einen transsexuellen Mann, der keinesfalls wollte, dass man erfährt, dass er als Mädchen geboren wurde. Ich habe diesen Wunsch respektiert. Er hat sich schon immer als Mann verstanden. Menschen, die sich im falschen Körper geboren fühlen, oder in der falschen Geschlechtsidentität, müssen oft schmerzvoll kämpfen, bis sie ihre wahre Identität offen leben können. Und viele wollen nachher ihre Ruhe haben. Sie finden diese Ruhe jedoch nur, wenn sie sich innerhalb der konventionellen Vorstellung von Mann und Frau bewegen. Transsexualität wird gesellschaftlich nur akzeptiert, wenn der Körper auch operativ ins andere Geschlecht verwandelt wird.
Jene, die dies nicht wollen, wagen oft nicht, es einzugestehen, weil ihnen sonst der Status der ersehnten Identität verweigert wird. Aber auch alle, die dazu stehen, werden sozusagen zum chirurgischen Totaleingriff gezwungen, nur um endlich legal anerkannt zu werden. Zudem kann es lebensgefährlich sein, sich dem Diktum der dichotomen Geschlechteraufteilung zu entziehen. Der bekannteste Fall ist wohl Brandon Teena, der dafür mit dem Leben bezahlt hat. Er hat sich als Mann gefühlt, wollte sich jedoch anscheinend keiner körpereingreifenden Operation unterziehen.
Ich will in meinem Film zeigen, dass es ein dazwischen gibt, beziehungsweise Formen, die ausserhalb der gewohnten Wahrnehmung stehen. Interessanterweise gibt es das sehr viel mehr, als wir uns eingestehen wollen. Zu fragen bleibt, wieso die Gesellschaft ihre Mitglieder in derart starre Rollen zwängt.
Treten da nicht einfach enorme Unsicherheiten und Ängste zu Tage ?
G.B.: Sicher - aber woher kommen solche Ängste, die dazu führen, dass schon kleine Kinder in Rollen gezwängt werden? Und was passiert, wenn sie nicht erfüllt werden? Reden wir von Storme Webber: Sie wird von vielen Menschen als Mann wahrgenommen. Sie selber aber erlebt sich als Frau - und sie ist gerne Frau...
Vielleicht muss man fragen, ob der Mensch zur Wahrnehmung seiner selbst eine Definition des eigenen Geschlechts braucht.
G.B.: Fragen wir anders: Wäre, wenn wir kein Geschlecht hätten, das sexuelle Begehren noch da? Das sexuelle Begehren etabliert sich im traditionellen Verständnis in der Unterscheidung Mann/Frau. Aus dieser Zweigeschlechtlichkeit resultieren die Probleme der Homosexuellen - es spricht ihnen das natürliche Begehren ab. Heute weiss man, dass sexuelles Begehren in jeder Richtung möglich ist: Mann - Mann/ Frau- Frau / Mann-Frau... Je weniger die Fortpflanzung von der Sexualität abhängig ist, desto freier wird diese; und umso mehr verändert sich die Gesellschaft. Anstelle der Blutsverwandtschaften tritt die frei gewählte ”Familie der Freunde”, die klassische Familie wird aufkündbar. Die Frauen in meinem Film leben in sehr unterschiedlichen ”Familien-Formen”. Diane Torr lebt alleine mit ihrer Tochter; die ”neuen Männer” in London pflegen sehr enge Beziehungen...
”Venus Boyz” ist ein Dokumentarfilm, enthält aber experimentelle Teile. Was steckt dahinter?
G.B.: Dokumentarfilm ist immer auch Inszenierung, eine ausgewählte Darstellungsform von Wirklichkeit. In ”Venus Boyz” wird das Moment der Inszenierung verstärkt: Die Performances, das heisst die Darstellungen der ProtagonistInnen auf der Bühne, werden mit ihren bewussten und unbewussten Darstellungen im Alltag verwoben. Die permanente Inszenierung von sich selbst ermöglicht uns wahrzunehmen, dass es nur graduelle Unterschiede von Inszenierungen des Geschlechts im Alltag und auf der Bühne gibt. Diese Inszenierung betrifft uns alle: Die Zweiteilung der Geschlechter ist für uns so selbstverständlich, dass wir kaum darüber nachdenken. Wir wachsen in diese Rollen hinein und inszenieren unser Geschlecht jeden Tag, ohne uns darüber bewusst zu sein. Oder frei nach Ru Paul: jeden Morgen, wenn wir aufstehen, ziehen wir Drag an. Ich denke, in "Venus Boyz" gibt es Momente, die besonders berühren, weil die ProtagonistInnen sich emotional sehr öffnen, aber auch, weil sich in ihnen unsere Vorstellungen von Fiktion und Wirklichkeit, von Imagination und Konvention, von Mann und Frau auflösen. Es entsteht Raum für etwas Neues, noch Undefiniertes.
”Venus Boyz” versucht diesem Moment der Inszenierung durch seine Form zu entsprechen. Ich habe die ganze Zeit mit zwei Kameras gedreht: Die Hauptkamera wurde von einer kleinen Kamera begleitet, welche die gleichen Szenen aus anderer Perspektive mitfilmte. Dabei wurde mit Aufnahmetempo, Beleuchtung experimentiert. Ich zielte dabei auf die Auflösung der ”Wirklichkeit”, wollte eine nicht-definierte visuelle Zone schaffen. In der Montage wurden die beiden Ebenen vermischt. Dazu gesellen sich schwarz/weiss gehaltenen Aufnahmen, die vor drei, vier Jahren während der Recherche entstanden - und die blauen Bilder. Die blauen Bilder sind für mich ”reality in drag”: Sie sind für mich ein Drittes, nicht farbig oder schwarz/weiss, nicht 24 Bilder oder 3 Bilderpro Sekunde, sie markieren kurze Momente aus einer Welt des Traums, der Imagination. Sie schaffen wie die experimentellen Bilder Distanz und verweisen auf die Konstruktion von Filmwirklichkeit. Film ist ja immer "reality in drag".
Wie reagierten die ProtagonistInnen auf ”Venus Boyz”?
G.B.: Unterschiedlich, im Allgemeinen aber positiv. Das Bild, das man von sich selber macht ist immer ein anderes, als das was andere von einem haben...und das ist manchmal schwierig. Oft hat die Sichtung von ”Venus Boyz” nochmals heftige Diskussionen ausgelöst.
Haben Sie das Gefühl, dass ”Venus Boyz” kultur- und/oder gesellschaftspolitisch etwas bewirkt? 
G.B. "Venus Boyz" ist ein Film über Drag Kings und transgender Persönlichkeiten, aber er ist vor allem ein Film über Menschen, die Risiken eingehen und sich von ihren Problemen nicht unterkriegen lassen. Sie werden kreativ, suchen über das Spannungsfeld Frau und Mann hinaus eine neue Identität. Das spricht uns alle an und insofern hoffe ich, dass er Türen öffnet, dass mein Film den Blick auf eine Welt freigibt, die man bisher so nicht kennt und ein klein wenig dazu beiträgt, dass Menschen einander wirklich toleranter begegnen. Dass die Zuschauer über Schönheitsideale nachzudenken beginnen, und darüber, wo die Freiheit des Einzelnen beginnt und wo sie aufhört... 
 
Zürich, im Oktober 2001 
Irene Genhart
igenhart@access.ch